Das Dolmetschen bei qualitativen Interviews ist eine eher seltene und damit spezielle Dolmetschsituation, in der Soziolog*innen eng mit den Dolmetscher*innen zusammenarbeiten. Bei diesem kollaborativen Ansatz werden die mehrsprachigen Interviewpartner*innen gedolmetscht. Die Soziologinnen Clara Holzinger und Anna-Katharina Draxl haben darüber referiert, welchen Einfluss das Simultan- oder Konsekutivdolmetschen auf die Interviewten und auf die Forscherinnen hatte. Im Rahmen der ReTrans-Vortragsreihe haben sie ihre ersten Beobachtungen mit uns geteilt.

Ihr Projekt DEMICO beschäftigt sich mit dem Phänomen der Dequalifizierung von hochqualifizierten Migrant*innen aus CEE EU-Mitgliedsländern. Im Rahmen des Projekts wurden bisher 25 qualitative Interviews mit Migrant*innen aus Tschechien, Ungarn und Rumänien durchgeführt. Die Interviews wurden sowohl simultan als auch konsekutiv gedolmetscht. Hierbei konnten unterschiedliche Effekte beobachtet werden: Während das konsekutive Dolmetschen den Erzählfluss beeinflusst, bietet es den Interviewten die Möglichkeit, ihre Antworten  zu ergänzen oder zu korrigieren. Beim Simultandolmetschen wurden die Gesprächspartner*innen oft durch die Dolmetschung abgelenkt. Dafür war es aber zeitsparender als das Konsekutivdolmetschen.  

Obwohl die Dolmetscharten und Sprachen im Voraus detailliert vereinbart wurden, mussten die Dolmetscherinnen flexibel reagieren: Einige Interviewpartner*innen wechselten während des Erzählens in die Sprache, in der sie bestimmte Erfahrungen gemacht haben. In solchen Fällen haben die Dolmetscherinnen entsprechend reagiert und nur dann gedolmetscht, wenn es notwendig war.

Nonverbale Elemente sind in qualitativen Interviews, genauso wie in allen Dialogen, von großer Bedeutung. Für die Soziologinnen war der wechselnde Blickkontakt der Interviewten zwischen ihnen und der jeweiligen Dolmetscherin besonders herausfordernd. Während der Gespräche waren die Interviewten oft unsicher, an wen sie sich wenden sollten, was zu direkten Interaktionen mit den Dolmetscherinnen führte. Aus soziologischer Sicht werden die Dolmetscherinnen als Gesprächspartnerinnen betrachtet, obwohl ihr eigenes Selbstverständnis diesem Ansatz widerspricht.

Die Beobachtungen und Erfahrungen beider Forscherinnen sowie die Reflexionen der interviewten Personen waren äußerst wertvoll für uns Studierende der Translatologie. Es ist selten, eine so detaillierte Beschreibung der Dolmetschsituation zu erhalten, was uns eine eingehende Auseinandersetzung ermöglicht. Sowohl die Interviewten als auch die Soziologinnen waren von den Leistungen professioneller Dolmetscherinnen beeindruckt. Diese Anerkennung hat uns als angehende Dolmetscherinnen und Dolmetscher sehr motiviert und gestärkt.

Tschechischstudierende unter der Leitung von Michaela Kuklová: Tímea Cingelová, Jana Doležalová, Veronika Marunová, Kateřina Klečková, Brigita Piláriková, Maroš Šimko, Tereza Škovranová in Kooperation mit ChatGPT